Die Pest auf Ägina (6)

6. April 2020 § 2 Kommentare

Zurück in der grotesken Welt, zu Szenen, die an einen Monty-Python-Streifen erinnern. An den Toren staut sich der Verkehr, so zahlreich sind die Leichenzüge (Tote mußten bei den Römern außerhalb der Stadt beerdigt werden). Die Toten bleiben unbestattet auf der Erde liegen (eine schlimme Sache, weil die Seelen der Verstorbenen nicht in die Unterwelt einziehen können und keine Ruhe finden) oder werden ohne Zeremoniell auf den Scheiterhaufen geworfen. Vollends übersteigert ist die Vorstellung, daß um die knappen Plätze auf dem Feuer Kämpfe ausbrechen und man seine Verstorbenen auf anderer Leute Scheiterhaufen mitverbrennt (so wie es Leute gibt, die im Waschsalon ihre eigenen Klamotten in fremden Maschinen mitwaschen). Schwer fällt es da, noch ernst zu bleiben. Hier ist Ovid wieder ganz bei sich, solche ins Paradoxe getriebenen Bilder sind bis hinauf in die Exildichtung typisch für den Dichter.)
Leben und Sterben haben seine Ordnung; hier aber ist diese Ordnung auf den Kopf gestellt. Der Weg aus dem Leben, so sieht es aus, ist gestört, man bleibt im Wartezimmer der Unterwelt hocken, im Zwischenreich schweift man ruhelos dahin. Wenn das Leben nicht irgendwo weitergeht, wenn keine Jüngeren nachkommen, die die Älteren bestatten, wenn alle Mittel zu einer ordentlichen Bestattung fehlen, ist selbst das Sterben dem Chaos unterworfen.
***

Welche gestorben, die Körper, sie werden nicht mehr nach dem rechten
Brauch bestattet (von Leichenzügen verstopft sind die Tore):
Entweder bleiben sie einfach liegen, oder man wirft sie
ohne Ritus aufs Feuer; schon spart man sich jegliche Ehrfurcht,
kämpft um die Haufen, schiebt eigene Tote aufs Feuer von andern.
Keiner, sie zu beklagen, ist übrig, es irren die Seelen
unbeweint umher von Kind, Eltern, Jungen und Alten.
Voll sind die Gräber, es reicht nicht das Holz für so viele Feuer.

corpora missa neci nullis de more feruntur
funeribus (neque enim capiebant funera portae):
aut inhumata premunt terras aut dantur in altos
indotata rogos; et iam reverentia nulla est,
deque rogis pugnant alienisque ignibus ardent.
qui lacriment, desunt, indefletaeque vagantur
natorumque patrumque animae iuvenumque senumque,
nec locus in tumulos, nec sufficit arbor in ignes.

Die Pest auf Ägina (5)

24. März 2020 § Ein Kommentar

In der Binnenerzählung wechselt hier nach dem einleitenden Wortwechsel mit seinem Gast Cephalus der Herr über Ägina, Aeacus, in die persönliche Perspektive. Handelte der vorige Abschnitt von der Unwirksamkeit jeglicher Heil- oder Linderungsmittel, kommt der vorliegende auf die vergeblichen Versuche zu sprechen, Hilfe wenn nicht von der Arztkunst so doch von höheren Mächten zu erlangen. Doch weit entfernt, mit Gebeten, Gelübden und Opfern etwas auszurichten, sterben die Hilfesuchenden vielmehr schneller, als sie beten, geloben oder opfern können: Die Gottheit, scheint es, hört gar nicht bis zum Ende zu, läßt die Betenden nicht ausreden. Es hat etwas von Genervtsein und Ungeduld. Schon wieder eine Bitte, ich hör mir das nicht mehr an. Oder von totaler Abwesenheit. Die Gottheit ist im Nebenzimmer beschäftigt, während vor der Tür die Menschen in Scharen sterben. Es entsteht ein Eindruck gößter Verlassenheit und Verzweiflung. Daß die Götter sich abgewandt haben, wird bei der Eingeweideschau noch deutlicher: die Eingeweide sind selbst von der Krankheit befallen, sie sind unleserlich, es ist ihnen nichts zu entnehmen, anders gewendet: die Zukunft ist krank, die Zeit und ihre Funktionen selbst ist krank, es gibt keine Wahrheit mehr, die Götter schweigen; man würde alle erdenklichen Opfer bringen, wenn die Götter nur einen Wunsch erkennen ließen, aber die Götter schweigen; man erklärt seine Opfer- und Sühnebereitschaft, aber die Götter schweigen; man sucht in der Eingeweideschau um Rat, aber die Götter schweigen auch hier; wenn aber die Götter als letzte Ratgeber verstummt sind, dann versagt jede menschliche und natürliche Ordnung, dann bleiben nur Chaos und Tod. Kein Wunder, daß manch einer letzteres wählt.

***

Frage nicht, wie es mir ging, was anderes sollte ich wünschen,
als, voller Haß auf das Leben, den Meinen zum Tode zu folgen?
Wo auch man wendete hin die Schärfe der Augen, es lagen
hingestreckt die Leute, so wie wenn die faulenden Äpfel
fallen beim Rütteln vom Zweig und beim Schütteln von Eichen die Eicheln.
Tempel sieht man daneben, von Treppenfluchten erhaben:
Jupiter sind sie geweiht. Wer hat nicht an diesen Altären
Weihrauch verbrannt umsonst? Wie oft hat, wenn Gattin für Gatten,
Vater und Mutter fürs Kind mit flehenden Worten gebetet,
unerhörten Flehens der Tod das Gebet unterbrochen,
fand sich noch, unverbrannt, in den Händen Stücke des Weihrauchs!
Und wie oft sind, zum Tempel geführt, wenn der Priester die Weihen
sprach und zwischen die Hörner den unerbittlichen Wein goß,
unerwartet, von keiner Wunde gefallen die Stiere!
Auch, als ich selbst dem Gott für mein Land und für die drei Kinder
opfern wollte, da ließen auf einmal die Stiere ein böses
Muhen ertönen, brachen zusammen, noch eh sie ein Hieb traf,
netzten mit spärlichem Blut das darunter gehaltene Messer.
Krank sogar ist die Leber, verloren die Zeichen der Wahrheit,
wie auch die Mahnung der Götter, das Eingeweide befallen.
Vor den geweihten Pfosten sah die Kadaver ich liegen,
vor den Altären selbst, daß umso gemeiner der Tod sei.
Manche, indem sie ihr Leben am Strick beenden, begegnen
Todesfurcht mit dem Tod und kommen zuvor ihrem Schicksal.

Quid mihi tunc animi fuit? an, quod debuit esse,
ut vitam odissem et cuperem pars esse meorum?
quo se cumque acies oculorum flexerat, illic
vulgus erat stratum, veluti cum putria motis
poma cadunt ramis agitataque ilice glandes.
templa vides contra gradibus sublimia longis:
Iuppiter illa tenet. quis non altaribus illis
inrita tura dedit? quotiens pro coniuge coniunx,
pro gnato genitor dum verba precantia dicit,
non exoratis animam finivit in aris,
inque manu turis pars inconsumpta reperta est!
admoti quotiens templis, dum vota sacerdos
concipit et fundit durum inter cornua vinum,
haud exspectato ceciderunt vulnere tauri!
ipse ego sacra Iovi pro me patriaque tribusque
cum facerem natis, mugitus victima diros
edidit et subito conlapsa sine ictibus ullis
exiguo tinxit subiectos sanguine cultros.
exta quoque aegra notas veri monitusque deorum
perdiderant: tristes penetrant ad viscera morbi.
ante sacros vidi proiecta cadavera postes,
ante ipsas, quo mors foret invidiosior, aras.
pars animam laqueo claudunt mortisque timorem
morte fugant ultroque vocant venientia fata..

Die Pest auf Ägina (4)

23. März 2020 § Ein Kommentar

Die Lage spitzt sich zu im vorliegenden Abschnitt. Daß die Kunstfertigkeit dem, der sie anwendet, Schaden zufügt, ist ein häufiger Topos bei Ovid; als er am siebten Buch der Metamorphosen arbeitete, konnte er nicht ahnen, daß er den Gedanken in den Werken der Verbannung wieder und wieder auf sich selbst und seine unglückliche Lage literarisch anwenden würde: Sein dichterisches Talent, daß ihn die Kühnheit der Liebeskunst konziperen und ausführen ließ, hatte ihm die Verbannung eingetragen, die Kunst dem Künstler geschadet.
Typisch für Ovid sind die ans Groteske reichenden Übertreibungen: Das Fieber ist so hoch, daß die kalte Erde, auf die sich die Kranken zwecks Kühlung legen, sich erhitzt (fervet, das heißt, wird nicht nur warm, sondern „kocht“ oder „siedet“); die Kranken trinken vor Durst ganze Flüsse leer, und daß Schafe die Wolle verlieren, ist auch ziemlich unwahrscheinlich. Andere Beschreibungen dagegen scheinen nur zu plausibel, als daß es einem nicht kalt den Rücken runterläuft: Kranke trinken von kontaminiertem Wasser, weil der Durst sie so sehr quält; die Verwzeiflung läßt die Kranken das Haus verlassen und umherscheifen, in der Hoffnung, daß alles gut wird, wenn man nur den Ort meidet, an dem das Übel zuschlug. Daß die Bettdecke unerträglich wird, kommt auch in anderen Pestbeschreibungen vor, mir ist nicht bekannt, ob das ein beobachtetes Symptom oder nur ein literarischer Topos ist, da müßte man mal nachforschen. Von der grotesken Übertreibung gelangt Ovid unter Rücknahme der Mittel zu Schilderungen von eindringlichem Ernst. Im letzten Bild der Passage kehrt der Text wieder zu den meteorologischen Zeichen des Anfangs zurück: Die Sterbenden strecken die Hände flehend aus zu demselben Himmel, der schon zu Beginn „schwer auf die Erde“ gedrückt hat, und suchen in letzter Verzweiflung Hilfe von dort, woher das Übel seinen Anfang nahm. Unterstrichen wird der Ernst vom Versmaß, dem bei Ovid äußerst seltenen versus spondiacus..

Niemand, der Abhilfe wüßte, ja grade unter den Ärzten
um sich greift rasendes Sterben, und schadet den Heilern die Heilkunst:
ja, je näher der Arzt dem Kranken, je treuer die Pflege,
umso schneller kommt selbst er ans Sterben, und wenn erst auf Heilung
hin ist die Hoffnung und klar wird, daß endet die Krankheit im Tode,
geben sie auf und suchen nicht mehr, was helfen noch könnte:
Helfen nämlich kann nichts. Allenthalben verliert man die Hemmung,
legt sich in Quellen und Flüsse, bleibt liegen in breiten Zisternen,
aber das Naß, als den Durst zu löschen, ist schneller getrunken.
Schwer nach dem Trunk schaffen viele es nicht, sich noch zu erheben,
sterben vor Ort im Wasser, das dann wieder andere schöpfen;
Derart verhaßt ist das widrige Bett den Erkrankten, daß auf sie
springen, oder, wenn ihnen die Schwäche das Stehen vereitelt,
wälzen sie ihren Leib übern Grund. So fliehen das Haus sie,
jeglicher seines, und jedem ein Totenhaus scheint sein Zuhause,
denn, weil die Ursache unklar, so hat im Verdacht man die Orte;
teilweise konnte Halbtote man sehen – solang sie noch aufrecht –
wie auf den Straßen sie wankten, teils andre schon weinend am Boden,
wie sie die müden Augen in letzter Regung verdrehten;
und sie recken die Hand nach den Sternen des hangenden Himmels,
grad wo der Tod sie ereilt, so hauchen sie aus ihr Leben.

nec moderator adest, inque ipsos saeva medentes
erumpit clades, obsuntque auctoribus artes;
quo propior quisque est servitque fidelius aegro,
in partem leti citius venit, utque salutis
spes abiit finemque vident in funere morbi,
indulgent animis et nulla, quid utile, cura est:
utile enim nihil est. passim positoque pudore
fontibus et fluviis puteisque capacibus haerent,
nec sitis est exstincta prius quam vita bibendo.
inde graves multi nequeunt consurgere et ipsis
inmoriuntur aquis, aliquis tamen haurit et illas;
tantaque sunt miseris invisi taedia lecti,
prosiliunt aut, si prohibent consistere vires,
corpora devolvunt in humum fugiuntque penates
quisque suos, sua cuique domus funesta videtur,
et quia causa latet, locus est in crimine; partim
semianimes errare viis, dum stare valebant,
adspiceres, flentes alios terraque iacentes
lassaque versantes supremo lumina motu;
membraque pendentis tendunt ad sidera caeli,
hic illic, ubi mors deprenderat, exhalantes.

Die Pest auf Ägina (3)

22. März 2020 § 4 Kommentare

Bald auch mäht die Pest die hilflosen Landmänner nieder,
und in den Mauern der großen Stadt errichtet sie Herrschaft.
Erst beginnt das Gedärm zu brennen, dann schleichendes Fieber
Rötung zeigt an und schmerzhaft keuchendes Atmen, von Feuer
anschwillt die rauhe Zunge, vertrocknet von hitzigem Atem
starren die Münder und schnappen nach Luft in mühsamen Zügen.
Bett und Lager sind unerträglich und jegliches Laken,
nackt auf die Erde legt man sich bäuchlings, doch wird nicht der Körper
abgekühlt von dem Grund, sondern heiß wird der Grund von den Körpern.

Pervenit ad miseros damno graviore colonos
pestis et in magnae dominatur moenibus urbis.
viscera torrentur primo, flammaeque latentis
indicium rubor est et ductus anhelitus; igni
aspera lingua tumet, tepidisque arentia ventis
ora patent, auraeque graves captantur hiatu.
non stratum, non ulla pati velamina possunt,
nuda sed in terra ponunt praecordia, nec fit
corpus humo gelidum, sed humus de corpore fervet.

Die Pest auf Ägina (2) (536–551)

18. März 2020 § Ein Kommentar

Sterben von Hunden zuerst und von Vögeln und Schafen und Rindern,
Sterben von Wild auch anzeigt die plötzliche Wirkung der Seuche.
Fassungslos sieht die starken Stiere kippen der Landmann,
und wie plötzlich beim Werk sie sich krümmen inmitten der Furche.
Jämmerlich blöken die wolletragenden Herden der Schafe,
ganz ohne Schur, von allein fällt die Wolle, die Körper verfaulen;
Einstmals so flink, das Pferd, das prächtige Glanzstück der Bahn, geht
langsam zugrunde; des Preises und früherer Ehren vergessend
stöhnt es am Gatter, dem Tode geweiht durch wehrlose Schwäche.
Nicht denkt an Zorn noch der Eber, der Hirsch nicht, aufs Laufen zu setzen,
noch darauf sinnen, den wehrhaften Pflugstier zu reißen, die Bären.
Alles fällt in Erstarrung: in Wäldern, auf Feldern und Wegen
liegen die schwärenden Körper, Gestank verpestet die Lüfte.
Seltsam, daß Hunde das Aas nicht und auch nicht gefräßige Geier
noch die grauen Wölfe anrühren; so fault und zerfällt, was
tötet mit seinem Hauch und die Ansteckung weit übers Land trägt.

strage canum primo volucrumque oviumque boumque
inque feris subiti deprensa potentia morbi.
concidere infelix validos miratur arator
inter opus tauros medioque recumbere sulco;
lanigeris gregibus balatus dantibus aegros
sponte sua lanaeque cadunt et corpora tabent;
acer equus quondam magnaeque in pulvere famae
degenerat palmas veterumque oblitus honorum
ad praesepe gemit leto moriturus inerti.
non aper irasci meminit, non fidere cursu
cerva nec armentis incurrere fortibus ursi.
omnia languor habet: silvisque agrisque viisque
corpora foeda iacent, vitiantur odoribus aurae.
mira loquar: non illa canes avidaeque volucres,
non cani tetigere lupi; dilapsa liquescunt
adflatuque nocent et agunt contagia late.

#FlorentinischerLandsitz

Die Pest auf Ägina (Ovid, Metamorphosen VII, 523ff)

16. März 2020 § 4 Kommentare

Schlimm war die Pest, die der Zorn der maßlosen Iuno den Völkern
sandte, aus Haß auf das Land, weil es trägt den Namen der Kebse*.
Da man das Übel für irdisch noch hielt und den boshaften Grund nicht
kannte für solches Verderben, wehrte man sich mit der Heilkunst:
Aber das Sterben hielt an, weder Pille noch Trank zeigte Wirkung.
Anfangs drückte der Himmel mit undurchdringlicher Schwärze
schwer auf das Land und hielt fest eine träge Hitze mit Wolken;
während viermal die Hörner verband und den Kreis wieder füllte
Luna, und, viermal geschwunden, zur vollen Scheibe heranwuchs,
wehte ein warmer Süd, der Hitze brachte und Pesthauch.
Fest steht, daß auch in die Brunnen und Tümpel gelangte das Übel,
und auch, daß Schlangen zu tausenden durch die verwilderten Felder
streiften, wobei sie mit bösem Geifer die Flüsse verseuchten.

dira lues ira populis Iunonis iniquae
incidit exosae dictas a paelice terras.
dum visum mortale malum tantaeque latebat
causa nocens cladis, pugnatum est arte medendi:
exitium superabat opem, quae victa iacebat.
principio caelum spissa caligine terras
pressit et ignavos inclusit nubibus aestus;
dumque quater iunctis explevit cornibus orbem
Luna, quater plenum tenuata retexuit orbem,
letiferis calidi spirarunt aestibus austri.
constat et in fontis vitium venisse lacusque,
miliaque incultos serpentum multa per agros
errasse atque suis fluvios temerasse venenis.

*Kebse: Die Najade Aigina war Zeus‘ Geliebte. Der Sproß dieser Verbindung, Aiakos, wurde auf der gleichnamigen Insel geboren.

#FlorentinischerLandsitz

L’art pour l’art

9. Dezember 2019 § Hinterlasse einen Kommentar



Cum bene quaesieris quid agam, magis utile nil est
      artibus his quae nil utilitatis habent.

Wo du mich rechtens fragst, was ich tue: nichts Brauchbarers hab ich
      als gerade die Kunst, die ich gebrauchen nicht kann.

(Ovid, P. I,5,53-54)

Ovid, Ex Ponto I,2,28f

21. November 2019 § Hinterlasse einen Kommentar



Ille ego sum lignum qui non admittar in ullum;
     ille ego sum frustra qui lapis esse uelim.

Einen wie mich aber will nicht aufnehmen irgendein Baumstamm,
     einer wie ich umsonst wünscht sich zu werden zu Stein.

Livius, II,3

3. April 2019 § Ein Kommentar

Obwohl es nun niemand bezweifelte, daß Krieg von den Tarquiniern drohe, geschah dies freilich später als von allen erwartet; im übrigen passierte etwas, womit keiner gerechnet hatte: List und Verrat machten die Freiheit ums Haar wieder zunichte. Es gab unter der Jugend Roms einige junge Männer von nicht eben geringer Abkunft, deren Lust und Laune unter der Königsherrschaft recht ungezügelt gewesen waren; den Tarquiniern Ebenbürtige und Gefährten, die es gewohnt waren, ihr Leben nach Königsart zu gestalten. Bestrebt, die alten Privilegien wiederzuerlangen, nachdem alle Bürger vor dem Gesetz gleich geworden waren, klagten sie untereinander, die Freiheit der anderen sei zu ihrer eigenen Knechtschaft ausgeschlagen: Der König sei ein Mensch, an den man sich mit der Frage nach Recht und Unrecht wenden müsse; er sei der Ort für Gnade, für Gunst; er könne in Zorn geraten und verzeihen; kenne den Unterschied zwischen Freund und Feind; Gesetze seien etwas Taubes, Unerbittliches, nützlicher und förderlicher für den Hilflosen als für den, der Gewalt besitze; sie kennten weder Großzügigkeit noch Nachsehen, wenn man mal über die Stränge schlage; angesichts so vieler menschlicher Schwächen sei es gefährlich, wenn einen allein die Unschuld am Leben ließe.

Cum haud cuiquam in dubio esset bellum ab Tarquiniis imminere, id quidem spe omnium serius fuit; ceterum, id quod non timebant, per dolum ac proditionem prope libertas amissa est. Erant in Romana iuventute adulescentes aliquot, nec ii tenui loco orti, quorum in regno libido solutior fuerat, aequales sodalesque adulescentium Tarquiniorum, adsueti more regio vivere. Eam tum, aequato iure omnium, licentiam quaerentes, libertatem aliorum in suam vertisse servitutem inter se conquerebantur: regem hominem esse, a quo impetres, ubi ius, ubi iniuria opus sit; esse gratiae locum, esse beneficio; et irasci et ignoscere posse; inter amicum atque inimicum discrimen nosse; leges rem surdam, inexorabilem esse, salubriorem melioremque inopi quam potenti; nihil laxamenti nec veniae habere, si modum excesseris; periculosum esse in tot humanis erroribus sola innocentia vivere.

Tüchtig (Ovid Ars II, 703-710)

14. März 2019 § 4 Kommentare



Conscius, ecce, duos accepit lectus amantes:
     Ad thalami clausas, Musa, resiste fores.
Sponte sua sine te celeberrima verba loquentur,
     Nec manus in lecto laeva iacebit iners.
Invenient digiti, quod agant in partibus illis,
     In quibus occulte spicula tingit Amor.
Fecit in Andromache prius hoc fortissimus Hector,
     Nec solum bellis utilis ille fuit.

Siehe, in Mitwisserschaft beherbergt das Bett unser Pärchen:
     Muse, schließe die Tür, laß nun die beiden allein!
Ohne dich, ganz von selbst lassen Schmeichelreden sich hören,
     wird nicht die linke Hand untätig ruhen im Bett.
Merken werden die Finger, was alles man tun kann an jenen
     Stellen, wo insgeheim Amor die Pfeile benetzt.
So mit Andromache tat’s schon früher der tapfere Hektor,
     tüchtiger Recke im Krieg, tüchtig im Kriege nicht nur.

(Mit Ovid habe ich mich schon mehrfach beschäftigt, zuletzt hier und hier im Zusammenhang mit gewissen Skandälchen.)

Wo bin ich?

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